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Zwischen Stacheldraht und Fischsoße

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Ein Fischer in Phú Quốc, der größten vietnamesischen Insel | © Hoang Dinh Nam/AFP/Getty Images

Ein Fischer in Phú Quốc, der größten vietnamesischen Insel | © Hoang Dinh Nam/AFP/Getty Images

Wachtürme, meterhohe Stacheldrahtzäune und Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag: Auf Vietnams größter Insel Phú Quốc ist im Gefängnismuseum Geschichte zu erleben.

 

Der schmale Weg um das Haupttor ist mit Stacheldraht umwickelt, die Ein- und Ausgänge der Baracken teilweise auch. Auf dem Wachturm stehen Soldaten, zwischen dem doppelmaschigen Stacheldrahtzaun wird patrouilliert. Auf dem Gefängnishof gefoltert.

Im Detail wird im Gefängnismuseum mit lebensgroßen Puppen an die Vergangenheit von Phú Quốc erinnert. Die Insel ist die größte Vietnams , gelegen im Golf von Thailand , an der Grenze zu Kambodscha . Lange war sie eine Gefängnisinsel. Heute versuchen die Inselbewohner, mehr Tourismus anzuziehen. Das Gefängnismuseum betreibt der Staat; es liegt kurz vor Phú Quốcs südlichster Stadt An Thoi – inmitten eines Militärkomplexes.

Das Gefängnis bauten 1953 französische Kolonialisten, ab 1956 wurden Revolutionäre im Coconut Tree Training Camp inhaftiert. Mit Beginn desVietnamkriegs 1967 nutzte das von den USA unterstützte Regime in Saigon das Gefängnis, um Widerstandskämpfer zu beugen. Zehntausende Vietnamesen wurden dort unter teilweise barbarischen Bedingungen eingesperrt und gefoltert. Das Gefängnismuseum ist aus den Originalbaracken entstanden: In vielen der 14 mit langen Holzbänken spartanisch eingerichteten Wellblech-Baracken sind Szenen aus dem Gefängnisalltag in allen Details nachgestellt. Es scheint fast so, als sei hier an einem beliebigen Tag zwischen 1967 und 1973 die Zeit stehen geblieben.

Besonders gefürchtet war der offene Platz direkt hinter dem Haupttor desCoconut Tree Training Camp . Hier wurden Insassen öffentlich gefoltert. Jede Gefängnisabteilung hatte einen sogenannten Tigerkäfig. Diese Käfige waren meist nur so groß, dass ein Mensch zusammengekrümmt darin liegen oder hocken konnte. Seiten und Deckel waren mit Stacheldraht umwickelt, es gab keinerlei Schutz vor Sonne, Regen, Hitze und Kälte. Waren die Nächte besonders kalt, schüttete das Wachpersonal Wasser in die Käfige, „um den Tiger zu waschen“, wie es heißt.

Vergangenheit ist Vergangenheit

Ein großes Mahnmal auf der gegenüberliegenden Straßenseite erinnert heute an diese Zeit. Vor allem an den Wochenenden besuchen vietnamesische Familien das Gefängnismuseum: die Älteren in Gedenken an ihre Vorfahren, die Kinder, weil sie die nachgestellten Szenen gruselig finden, sagt ein Besucher. Für Touristen ist das Museum unter der Woche geöffnet. Der Regierung war es wichtig, nach dem Vietnamkrieg ihre Freiheitskämpfer zu würdigen. Auf den Informationstafeln im Museum steht, wie unermüdlich sie sich gegen das von Amerikanern ferngesteuerte Regime aufgelehnt haben.

Gern aber redet auf Phú Quốc niemand über die Zeit des Vietnamkriegs: „Viele Vietnamesen glauben, dass sich die Vergangenheit wiederholen könnte, wenn man immer von ihr spricht“, sagt Khoi. Der 28-Jährige betreibt mit seiner Familie am nahe gelegenen Sao Beach an der Ostküste ein kleines Restaurant. Lieber als über die Vergangenheit spricht er über seinen frischen Fisch oder das blaue Meer, das in dieser Bucht besonders intensiv zu strahlen scheint. Nur wenige Besucher kommen hierher, denn der etwa vier Kilometer lange weiß Sandstrand ist nur über eine unbefestigte Straße zu erreichen. Gefängnismuseum und Sao Beach – der Kontrast zwischen Schrecken und Schönheit könnte kaum größer sein.

Die Hafenstadt Ham Ninh an der Ostküste ist der Hauptumschlageplatz für viele Waren. Weil das Meer auch dort sehr flach ist, reicht ein langer Steg rund 200 Meter ins Meer hinein. Kleinere und größere Handelsschiffe löschen hier ihre Ware, die die Vietnamesen auf abenteuerliche Art und Weise mit Motorrollern über den langen Steg an Land bringen.

Perlen, Pizza, Proteine

Von der quirligen Hafenstadt An Thoi ganz im Süden bis zu dem einsamen Fischerdorf Ganh Dau im Norden sind es fast 60 Kilometer. Etwa auf halber Strecke an der Westküste liegt die Hauptstadt Duong Dong, wo sich das meiste Leben abspielt. Hier beginnt auch der mit über 20 Kilometern längste Strand Long Beach, der sich im Süden bis zum Cape Tau Ru erstreckt. Rund 20.000 der knapp 80.000 Inselbewohner leben in der Hauptstadt, mittendrin liegt auch der kleine Inselflughafen. Mit dem Flugzeug ist Ho Chi Minh City nur eine Stunde entfernt.

Auf der anderen Seite des Flusses, der über eine abenteuerliche Holzbrücke überquert wird, liegt der modernere Teil Duong Dongs. Hafenanleger, Amtsstuben, Banken, ein Pizza-Laden und Hotels in allen Preisklassen – hier zeigt sich Phú Quốc von der etwas touristischeren Seite. Ab vier Uhr am Nachmittag öffnet der Nachtmarkt, der neben traditioneller vietnamesischer Küche auch Schmuck von den Perlenfarmen im Süden bietet. Wer den Weg den Long Beach hinunter nicht scheut, hat jedoch auf den Farmen selbst eine deutlich größere Auswahl.

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Die Insel wird moderner und lauter

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Über der gesamten Stadt liegt der leicht süßliche Geruch der Fischsoße Nuoc Mam, die in zahlreichen kleinen Betrieben entlang des Duong Dong Rivers produziert wird. Hierzu werden Anchovis in Holzfässern vor allem mit viel Salz fermentiert – mindestens ein Jahr lang. Die proteinreiche, äußerst wohlschmeckende Soße ist neben dem Pfeffer der wichtigste Exportartikel, darf aber nicht im Flugzeug ausgeführt werden. Der Grund ist die Intensität der Soße: Würde eine Flasche auslaufen, wäre der Flieger regelrecht kontaminiert.

In Zukunft soll der Tourismus als Einnahmequelle deutlich wachsen. Drei Millionen Euro will Duong Dong in ein modernes Stadtzentrum investieren – falls sich Geldgeber finden. Auf einem großen Plakat am Flughafen ist die Vision einer modernen Innenstadt mit großen Glasfassaden zu sehen. Ob und wann das umgesetzt wird, steht in den Sternen. An einem neuen, internationalen Flughafen im Süden der Insel jedoch wird bereits gebaut. Er soll spätestens Ende 2013 fertig sein. Dann sollen auch neue Hotels am Long Beach entstehen.

„In fünf Jahren wird es hier nicht mehr so ruhig sein“, sagt Olivier Petit, der außerhalb der Hauptstadt im Norden das Chen Sea Resort führt. „Viele Hotelketten und Casinos warten nur auf die internationale Anbindung der Insel.“ Doch gerade der Ausbau der Straßen auf der Insel verläuft sehr unkoordiniert. Kleine Teilstücke sind breit wie Autobahnen, gefolgt von den typischen roten Sandpisten, die immer noch die Mehrzahl der Straßen ausmachen.

Noch sind es daher vor allem Krabben und Einsiedlerkrebse, die an Phú Quốcs Stränden das Sagen haben. Wie am Ong Lang Beach, an der Westküste. Die untergehende Sonne zaubert grandiose Farben auf Himmel und Meer. Ein paar Fischer haben es sich auf einem der großen Steine am Ufer gemütlich gemacht und genießen den Feierband bei einer Flasche Bier. Hier und da knattert ein Moped vorbei, die letzte Propellermaschine Richtung Ho Chi Minh City verschwindet am Horizont. Phú Quốc wird moderner, internationaler – und lauter werden. Noch aber ist es eine leise Insel, die sich ihre Ursprünglichkeit bewahrt hat.

 

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